Präsentismus
– ein unterschätztes Risiko für Gesundheit und Produktivität
In der heutigen Arbeitswelt ist es längst keine Seltenheit, dass Mitarbeitende trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen. Dieses Verhalten – bekannt als Präsentismus – gilt in vielen Branchen noch immer als stilles Signal für Leistungsbereitschaft. Doch tatsächlich schadet es langfristig nicht nur der Gesundheit der Beschäftigten, sondern auch der Produktivität von Organisationen.
Besonders betroffen sind Sektoren wie der soziale Bereich, der öffentliche Dienst und das Gesundheitswesen – Branchen, in denen Verantwortung, Personalmangel und emotionale Belastung eng miteinander verknüpft sind.
Ein gefährlicher Vorschlag
Kürzlich wurde vom Arbeitgeberverband vorgeschlagen, dass gesetzlich Versicherte künftig Arztkosten zunächst selbst bezahlen und sich diese später erstatten lassen sollen.
Doch das hätte fatale Folgen:
Wenn Menschen Rechnungen vorstrecken müssen, verschieben sie Arztbesuche oder vermeiden sie ganz – nicht, weil sie sie nicht bräuchten, sondern weil sie es sich manchmal schlicht nicht leisten können.
Die Konsequenzen sind gravierend:
- Krankheiten werden später erkannt,
- chronische Leiden verschlimmern sich,
- Arbeitsausfälle verlängern sich – und die Gesamtkosten für das Gesundheitssystem steigen.
Dieser Vorschlag fördert Präsentismus, weil Menschen aus Angst vor finanziellen Belastungen oder Jobverlust krank weiterarbeiten. Besonders gefährdet sind dabei Beschäftigte in Sozialer Arbeit und Gesundheitsberufen, die ohnehin stark belastet sind.
Was ist Präsentismus?
Präsentismus beschreibt das Verhalten, trotz Krankheit oder psychischer Erschöpfung zur Arbeit zu gehen. Er betrifft sowohl körperliche als auch seelische Erkrankungen – bleibt aber häufig unbemerkt, im Gegensatz zum klassischen Krankenstand.
Der Produktivitätsverlust durch Präsentismus ist laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) etwa doppelt so hoch wie durch Fehlzeiten.
Warum Menschen krank arbeiten
Die Ursachen sind komplex – meist eine Kombination aus individuellen, organisatorischen und gesellschaftlichen Faktoren:
Individuelle Faktoren:
- Angst vor Arbeitsplatzverlust
- Hohe Identifikation mit dem Beruf
- Schuldgefühle gegenüber Kolleg:innen
- Gefühl, unersetzlich zu sein
Strukturelle Faktoren:
- Personalmangel und Arbeitsverdichtung
- Fehlende Vertretungsregelungen
- Unternehmenskulturen, die Überlastung als Engagement interpretieren
Gerade im sozialen Bereich zeigt sich: Wer hilft, darf selbst oft nicht hilfsbedürftig sein.
Folgen für Gesundheit und Organisation
Präsentismus hat weitreichende Folgen – sowohl für Einzelpersonen als auch für Organisationen:
Gesundheitliche Folgen:
- Verschlechterung des Gesundheitszustands
- Erhöhte Anfälligkeit für weitere Erkrankungen
- Langfristige Erschöpfung und Burnout
Produktivitätsverlust:
Mitarbeitende sind zwar anwesend, aber nicht arbeitsfähig – Fehler, Ineffizienz und Konflikte nehmen zu.
Wirtschaftliche Folgen:
Langfristig steigen die Kosten durch Fluktuation, Langzeiterkrankungen und Arbeitsunfälle.
Handlungsempfehlungen – Wege aus dem Präsentismus
Eine nachhaltige Strategie gegen Präsentismus braucht Maßnahmen auf drei Ebenen: individuell, sozial und strukturell.
1. Individuell – Selbstfürsorge stärken
- Frühzeitig Symptome erkennen und ernst nehmen
- Ärztliche Hilfe ohne Schuldgefühle in Anspruch nehmen
- Pausen, Schlaf und Bewegung als Priorität verstehen
2. Sozial – Teamkultur verändern
- Offene Kommunikation über Gesundheit fördern
- Kollegiale Unterstützung und Vertretungsregelungen schaffen
- Solidarität statt Stigmatisierung bei Krankheitsausfällen
3. Strukturell – Organisationen in Verantwortung bringen
- Realistische Zielvorgaben und ausreichende Personaldichte sicherstellen
- Führungskräfte für mentale Gesundheit sensibilisieren
- Gesundheit als Teil von Arbeitsfähigkeit begreifen
Gesundheitsförderung rechnet sich
Laut dem iga-Report kann betriebliche Gesundheitsförderung einen Return on Investment von 2,70 € pro investiertem Euro erzielen.
Das gelingt zum Beispiel durch:
- Bezahlte Gesundheitskurse
- Arbeitsplatznahe Programme zur psychischen Gesundheit
- Stressprävention und Resilienztrainings
Wichtig ist: Menschen mit geringem Einkommen brauchen niedrigschwellige Zugänge, etwa Präventionsgutscheine oder Bonusprogramme ohne Vorkasse.
Fazit
Präsentismus ist kein Zeichen von Stärke, sondern ein Warnsignal.
Er entsteht, wenn individuelle Belastungen auf strukturelle Defizite treffen.
Organisationen, die das erkennen und gegensteuern, schützen nicht nur ihre Mitarbeitenden – sie stärken ihre Zukunftsfähigkeit, Leistungsfähigkeit und Attraktivität als Arbeitgeber.
Ich unterstütze Institutionen, Führungskräfte und Fachkräfte im sozialen Bereich und öffentlichen Dienst dabei, gesunde Strukturen zu schaffen, Burnout vorzubeugen
und mentale Gesundheit nachhaltig zu fördern – durch
Fortbildungen, Workshops und Beratungsangebote, die Wirkung zeigen.